Unter den im vergangenen Jahr vom schweizerischen Heilmittelinstitut swissmedic insgesamt 25 neu zugelassenen Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen findet sich nur gerade ein einziges (Lurasidone) für die Behandlung von psychischen Erkrankungen. Und das, obwohl 25% der Bevölkerung unter einer psychischen Störung leidet!
Nun muss nicht jeder mit einer psychiatrischen Erkrankung psychopharmakologisch behandelt werden. Bei einem Grossteil der Erkrankungen, z.B. leichte Depressionen oder Angsterkrankungen, ist die psychotherapeutische Behandlung allein schon ausreichend. Zieht man hingegen die hohe Zahl der Erkrankten in Betracht und ihre erheblichen Auswirkungen auf die Volksgesundheit - die WHO rechnet damit, dass Depressionen bis zum Jahr 2030 die Tabelle der globalen Krankheitslast anführen werden -, so erstaunt die tiefe Zahl der neu zugelassenen Medikamente. Immerhin machen die neuropsychiatrischen Erkrankungen bereits heute weltweit einen Drittel der sogenannten 'years lost due to disability (YLD)' aus. Vier der 10 führenden Ursachen für YLD sind psychiatrische Erkrankungen: Depressionen, Alkoholabhängigkeit, Schizophrenien und bipolare Störungen.
Richard Friedman wirft der Pharmaindustrie in einem Artikel der New York Times vor, dass sie genau in dem Zeitpunkt vor dem Gehirn wegrennt, wo es interessant wird. Anscheinend sind die pharmazeutischen Firmen zum Schluss gekommen, dass die Entwicklung von neuen psychiatrischen Medikamenten zu riskant und zu teuer ist. Kein Wunder: die Entwicklung eines neuen Medikaments ist ein Unternehmen, das Zeit kostet (ungefähr 15 Jahre) und Geld (1.5-2 Milliarden Dollar) und in vielen Fällen nie bis zur Zulassung kommt. Ausserdem sind die Ideen ausgegangen. Die neuesten Zulassungen sind in der Regel 'Me too-Drugs', das heisst, in der Regel nur leichtgradige Änderungen bereits bestehender Medikamentenklassen. Bis zur Hälfte der Phase 3-Studien sind Versager. Teilweise hat das mit der Komplexität von psychiatrischen Erkrankungen zu tun, die besonders anfällig sind für Umwelteinflüsse. Der zugrunde liegende Erkrankungsprozess und die Natur der damit zusammenhängenden Gehirnentwicklung sind bisher nur zu einem sehr kleinen Teil verstanden worden.
Es muss nun befürchtet werden, dass die enormen Investitionen, die öffentlich und privat in die Forschung geflossen sind, nicht zur erhofften nächsten Generation von Psychopharmaka führen wird. Einige wenige mögen sich über diesen Umstand freuen. Angesichts der gewaltigen Auswirkungen auf die Weltgesundheit und die Weltwirtschaft kann eine solche Haltung indessen nur zynisch genannt werden.
Thomas Insel vom NIMH (National Institute of Mental Health) hat in seinem Director's Blog in der Vergangenheit mehrere Wege aufgezeichnet, wie dieser Entwicklung Abhilfe geschaffen werden kann.
Am Beispiel Ketamin, einem Anästhetikum, an dem starke antidepressive Effekte nachgewiesen werden konnten, lässt sich zeigen, dass andere Wege der Entdeckung und Erforschung begangen werden könnten, z.B. jenen der 'serendipity', der überraschenden und eher zufälligen Entdeckung von Wirkstoffen oder Wirkmechanismen also.
Die zweizeitige Entdeckung von Lithium als mood stabilizer, 1895 durch Carl Georg Lange und noch einmal 1949 durch John Cade, ist ein weiteres schönes Beispiel für den kreativen Umgang mit 'serendipity'.
Diesem Prinzip ist der Ansatz des 'repurposing old drugs for new conditions' verwandt, wie das Beispiel von Duloxetine zeigt. Auch die Anwendung von Antiepileptika für Schmerzstörungen, Angststörungen und bipolare Störungen gehört in diesen Bereich.
Da die Industrie inzwischen dazu über gegangen ist, das Risiko auf frühere Phasen der Entwicklung zu verschieben, sind Partnerschaften der Pharmaindustrie mit der akademischen Forschung ein naheliegendes und vielversprechendes Modell, um eine Katalysatorwirkung in den frühen Phasen der Forschung und damit eine Beschleunigung der Entdeckung von Wirkstoffen zu erzielen.
Eher kritisch ist der Shift von den 'blockbusters' zu den 'niche bustern' zu betrachten, also die Entwicklung von Wirkstoffen für sehr seltene Erkrankungen resp. für solche, denen genetische Mutationen zugrunde liegen.
Auch die präklinische Forschung müsste deutlich mehr gefördert werden. Noch immer herrscht ein bloss marginales Verständnis der funktionalen Netzwerke im Gehirn, und damit fehlen gezielte pharmakologische Ansätze, die auf einem fundierten Verständnis der Pathophysiologie gründen.
Schliesslich besteht eine theoretisch begründete Furcht vor eklektischen therapeutischen Ansätzen: bereits Griesinger empfahl die komplementäre Anwendung von psychotherapeutischen und psychopharmakologischen Interventionen. Deren additive Wirkung wird zwar auch in den internationalen Guidelines beschrieben. Es fehlt aber ein grundlegendes Wissen über das 'wie'. Es wäre daher nur naheliegend, die ergänzende Wirkung dieser beiden Königsdisziplinen auch theoretisch und in den Entwicklungsprozessen zu integrieren.
Auch soziale Netzwerke wie Patientenforen oder Softwares zur Ideengenerierung wie 'allourideas' könnten diesem Zweck dienen.
Insgesamt besteht die grosse Notwendigkeit der Beschleunigung der integralen und integrativen Entwicklung von Behandlungsansätzen. Wir benötigen einen rascheren Zugang darüber, was wirkt und was schadet. Schliesslich hat die klinische Forschung in den letzten 20 Jahren vor allem eines gezeigt: dass unsere Therapien zuwenig wirken und häufig schädlich sind.
Es ist deshalb auch Aufgabe der Politik, sowohl den öffentlichen wie den privaten Sektor so stark anzuheizen, dass dieselbe Energie und Innovation, die in die Forschung für Krebs, Herzerkrankungen und Diabetes gelangen, auch den Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen zugute kommen. Die Politik kann aber nur aufnehmen und ausführen, was die Gesellschaft in den Medien, in Wissenschaft und Kultur als dringendes Problem definiert hat.
Nun muss nicht jeder mit einer psychiatrischen Erkrankung psychopharmakologisch behandelt werden. Bei einem Grossteil der Erkrankungen, z.B. leichte Depressionen oder Angsterkrankungen, ist die psychotherapeutische Behandlung allein schon ausreichend. Zieht man hingegen die hohe Zahl der Erkrankten in Betracht und ihre erheblichen Auswirkungen auf die Volksgesundheit - die WHO rechnet damit, dass Depressionen bis zum Jahr 2030 die Tabelle der globalen Krankheitslast anführen werden -, so erstaunt die tiefe Zahl der neu zugelassenen Medikamente. Immerhin machen die neuropsychiatrischen Erkrankungen bereits heute weltweit einen Drittel der sogenannten 'years lost due to disability (YLD)' aus. Vier der 10 führenden Ursachen für YLD sind psychiatrische Erkrankungen: Depressionen, Alkoholabhängigkeit, Schizophrenien und bipolare Störungen.
Richard Friedman wirft der Pharmaindustrie in einem Artikel der New York Times vor, dass sie genau in dem Zeitpunkt vor dem Gehirn wegrennt, wo es interessant wird. Anscheinend sind die pharmazeutischen Firmen zum Schluss gekommen, dass die Entwicklung von neuen psychiatrischen Medikamenten zu riskant und zu teuer ist. Kein Wunder: die Entwicklung eines neuen Medikaments ist ein Unternehmen, das Zeit kostet (ungefähr 15 Jahre) und Geld (1.5-2 Milliarden Dollar) und in vielen Fällen nie bis zur Zulassung kommt. Ausserdem sind die Ideen ausgegangen. Die neuesten Zulassungen sind in der Regel 'Me too-Drugs', das heisst, in der Regel nur leichtgradige Änderungen bereits bestehender Medikamentenklassen. Bis zur Hälfte der Phase 3-Studien sind Versager. Teilweise hat das mit der Komplexität von psychiatrischen Erkrankungen zu tun, die besonders anfällig sind für Umwelteinflüsse. Der zugrunde liegende Erkrankungsprozess und die Natur der damit zusammenhängenden Gehirnentwicklung sind bisher nur zu einem sehr kleinen Teil verstanden worden.
Es muss nun befürchtet werden, dass die enormen Investitionen, die öffentlich und privat in die Forschung geflossen sind, nicht zur erhofften nächsten Generation von Psychopharmaka führen wird. Einige wenige mögen sich über diesen Umstand freuen. Angesichts der gewaltigen Auswirkungen auf die Weltgesundheit und die Weltwirtschaft kann eine solche Haltung indessen nur zynisch genannt werden.
Thomas Insel vom NIMH (National Institute of Mental Health) hat in seinem Director's Blog in der Vergangenheit mehrere Wege aufgezeichnet, wie dieser Entwicklung Abhilfe geschaffen werden kann.
Am Beispiel Ketamin, einem Anästhetikum, an dem starke antidepressive Effekte nachgewiesen werden konnten, lässt sich zeigen, dass andere Wege der Entdeckung und Erforschung begangen werden könnten, z.B. jenen der 'serendipity', der überraschenden und eher zufälligen Entdeckung von Wirkstoffen oder Wirkmechanismen also.
Die zweizeitige Entdeckung von Lithium als mood stabilizer, 1895 durch Carl Georg Lange und noch einmal 1949 durch John Cade, ist ein weiteres schönes Beispiel für den kreativen Umgang mit 'serendipity'.
Diesem Prinzip ist der Ansatz des 'repurposing old drugs for new conditions' verwandt, wie das Beispiel von Duloxetine zeigt. Auch die Anwendung von Antiepileptika für Schmerzstörungen, Angststörungen und bipolare Störungen gehört in diesen Bereich.
Da die Industrie inzwischen dazu über gegangen ist, das Risiko auf frühere Phasen der Entwicklung zu verschieben, sind Partnerschaften der Pharmaindustrie mit der akademischen Forschung ein naheliegendes und vielversprechendes Modell, um eine Katalysatorwirkung in den frühen Phasen der Forschung und damit eine Beschleunigung der Entdeckung von Wirkstoffen zu erzielen.
Eher kritisch ist der Shift von den 'blockbusters' zu den 'niche bustern' zu betrachten, also die Entwicklung von Wirkstoffen für sehr seltene Erkrankungen resp. für solche, denen genetische Mutationen zugrunde liegen.
Auch die präklinische Forschung müsste deutlich mehr gefördert werden. Noch immer herrscht ein bloss marginales Verständnis der funktionalen Netzwerke im Gehirn, und damit fehlen gezielte pharmakologische Ansätze, die auf einem fundierten Verständnis der Pathophysiologie gründen.
Schliesslich besteht eine theoretisch begründete Furcht vor eklektischen therapeutischen Ansätzen: bereits Griesinger empfahl die komplementäre Anwendung von psychotherapeutischen und psychopharmakologischen Interventionen. Deren additive Wirkung wird zwar auch in den internationalen Guidelines beschrieben. Es fehlt aber ein grundlegendes Wissen über das 'wie'. Es wäre daher nur naheliegend, die ergänzende Wirkung dieser beiden Königsdisziplinen auch theoretisch und in den Entwicklungsprozessen zu integrieren.
Auch soziale Netzwerke wie Patientenforen oder Softwares zur Ideengenerierung wie 'allourideas' könnten diesem Zweck dienen.
Insgesamt besteht die grosse Notwendigkeit der Beschleunigung der integralen und integrativen Entwicklung von Behandlungsansätzen. Wir benötigen einen rascheren Zugang darüber, was wirkt und was schadet. Schliesslich hat die klinische Forschung in den letzten 20 Jahren vor allem eines gezeigt: dass unsere Therapien zuwenig wirken und häufig schädlich sind.
Es ist deshalb auch Aufgabe der Politik, sowohl den öffentlichen wie den privaten Sektor so stark anzuheizen, dass dieselbe Energie und Innovation, die in die Forschung für Krebs, Herzerkrankungen und Diabetes gelangen, auch den Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen zugute kommen. Die Politik kann aber nur aufnehmen und ausführen, was die Gesellschaft in den Medien, in Wissenschaft und Kultur als dringendes Problem definiert hat.
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